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Talentsuche · 12 Minuten Lesezeit

Faires Shortlisting leicht gemacht

By Sarah Heßler · Published on

Inhaltsverzeichnis

Der wohl komplizierteste Prozess eines Auswahlverfahrens ist die Erstellung einer Shortlist. Meist gestaltet sich der Prozess des „Shortlistings“ sehr unübersichtlich und vor allem nicht immer fair.

Inhaltsverzeichnis

Das liegt insbesondere daran, dass die Sichtung und Prüfung der Bewerbungsunterlagen sehr viel Zeit und Konzentration bedarf und es die unterschiedliche Gestaltung der Unterlagen nahezu unmöglich macht, alle wichtigen Details nach einem einheitlichen Schema zu erfassen.

In diesem Artikel erläutern wir deshalb, wie Sie ein gut strukturiertes und faires Auswahlverfahren auf die Beine stellen, um Top-Talente gezielt herausfiltern zu können. Dazu gehen wir auf folgende Punkte ein:

Shortlisting Definition

Shortlisting bezeichnet die Aussortierung von unqualifizierten Bewerbungen aus dem Gesamt-Bewerberpool für eine ausgeschriebene Stelle (Longlist) mithilfe geeigneter Auswahlmethoden, um einen engeren Kandidatenkreis aufzustellen (Shortlist).

Der engere Kreis umfasst dann nur noch Kandidaten, die den relevanten Schlüsselkriterien für eine Position entsprechen. Die Kandidaten, die es auf die Shortlist geschafft haben, werden im nächsten Schritt des mehrstufigen Auswahlverfahrens zu einem ersten Interview eingeladen. Weiterführende Informationen erhalten Sie in unserem Glossar-Eintrag über „Shortlisting“.

Die häufigsten Probleme beim Shortlisting

Aktuell gibt es vier Hauptfaktoren, die zur Entstehung „unfairer“ Shortlists maßgeblich beitragen können. Das ist jedoch nicht nur für Bewerber ärgerlich, sondern kann dazu führen, dass sich Unternehmen selbst benachteiligen – sei es durch die Aussortierung großartiger Talente oder (meist unbeabsichtigte) Subjektivität, die schwerwiegende rechtliche Folgen nach sich ziehen kann.

Diskriminierung

Leider wissen viele Unternehmen die Vorteile von Diversity im Recruiting weder zu schätzen noch für sich zu nutzen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Auswahlverfahren vieler Unternehmen noch immer von Diskriminierung und Vorurteilen geprägt sind und Bewerbungen teilweise bereits aufgrund des Namens, der Ethnie, des Aussehens (Bewerbungsfoto), einer Behinderung oder ähnlichen Gründen willkürlich aussortiert wurden – trotz gleichwertiger Qualifikation.

Bauchgefühl statt Hard Facts

Obwohl sich der Prozess eines Auswahlverfahrens bereits auf so viele KPIs (Time to hire, Time Interview, etc.) stützt, verlassen sich viele Recruiter lieber auf ihr Bauchgefühl – und lassen sich so eher auf die falsche Fährte locken.

Natürlich ist es wichtig, ein Gefühl für die Person zu bekommen, aber erst in Kombination mit klaren, messbaren Daten ergibt sich eine wirklich aussagekräftige Entscheidungsgrundlage. Und erst dadurch ergibt sich die Möglichkeit zur Transparenz, wenn es darum geht, eine Entscheidung später sachlich und rechtlich vertretbar zu rechtfertigen.

Bevorzugt rollenspezifische Auswahl

Viele Recruiter stützen ihr Auswahlverfahren primär auf rollenspezifische Faktoren (Studienabschluss, Berufserfahrung in gleicher Rolle) und sortieren begabte und lernfähige Talente mit großem Wachstumspotenzial von Vornherein aus. Dabei heißt ein fehlender Studienabschluss längst nicht, dass die Schlüsselqualifikationen nicht vorhanden sind, denn diese können inzwischen auf vielen verschiedenen Wegen erworben werden.

Tatsächlich sind es sogar oft genau diese Kandidaten, die nicht nur in eine Rolle hinein, sondern dabei auch mehrfach über sich hinauswachsen und sich dynamischer entwickeln können, weil sie in ihrer Rolle noch nicht festgefahren sind. Mehr dazu finden Sie in unserem Artikel über kompetenzorientiertes Recruiting.

Einflussnahme durch Vitamin B

Grundsätzlich ist gegen gute Geschäftsbeziehungen nichts einzuwenden. Werden Bewerber allerdings nur aufgrund zwischenmenschlicher Verflechtungen bevorzugt behandelt, ist das nicht nur unfair gegenüber allen Bewerbern, die sich eine solche Fürsprache erst erarbeiten müssen. Auch hier können wirklich gute Talente übergangen werden.

So gelingt faires Shortlisting

Was bedeutet faires Shortlisting? Kurz gesagt: Chancengleichheit. Alle Kandidaten sollten unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem gesellschaftlichen Status, ihrer Herkunft, ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung und generell zunächst einmal frei von jeder Subjektivität bewertet werden. Wie Sie diesen Grundsatz in ihren Shortlisting-Prozess integrieren, sehen wir uns jetzt an.

Diverse people in row putting arms around each other
Photo: fauxels, Pexels

Bevor Sie eine wirklich faire und hochwertige Shortlist mit den Top-Talenten erstellen können, sollten einige Eckpunkte geklärt und ein grober Rahmen für die erste Stufe des Auswahlverfahrens festgelegt werden:

1. Gemeinsam transparente Shortlist-Kriterien definieren

Wer nicht weiß, was er sucht, wird auch nicht fündig. Klare Shortlist-Kriterien sind folglich der Schlüssel zur Identifikation wirklich geeigneter Kandidaten und rationalisieren das Auswahlverfahren. Diese Schlüsselkriterien sollten sich idealerweise auf die Qualitäten und Eigenschaften, die für die Rolle nötig sind, konzentrieren und keinen Raum für persönliche Präferenzen, Vorurteile oder Diskriminierung bieten. Beispiele hierfür können sein:

  • Ausbildung
  • Berufserfahrung
  • Fertigkeiten und Kenntnisse
  • Persönlichkeitsmerkmale
  • Kompetenzen

Kein Kandidat wird Ihrem Ideal jedoch zu 100 % entsprechen, weshalb Sie unbedingt zwischen wünschenswerten (“nice-to-have”) und essenziellen (“K.O.-“) Kriterien unterscheiden sollten. Beide Arten müssen dabei gleichermaßen auf alle Bewerber anwendbar sein. Nur so können Sie sicherstellen, dass alle Kandidaten die gleiche Chance erhalten.

2. Maximale Anzahl festlegen

Auch wenn Sie viele gute Bewerbungen erhalten haben: Einigen Sie sich von Anfang an auf eine überschaubare Anzahl von Shortlist-Kandidaten. Andernfalls könnte sich der Interviewprozess deutlich länger hinziehen und wirklich gute Talente zum Absprung oder zur Annahme eines Konkurrenz-Angebots veranlassen.

3. Shortlisting durchziehen

Sind alle vorherigen Punkte geklärt, können Sie sich auf die Prüfung und Auswertung (Screening) der Bewerbungsunterlagen konzentrieren. Dafür bieten sich im Wesentlichen zwei Umsetzungsmöglichkeiten an: Scorecard und CV-Parsing. Beide Möglichkeiten stellen wir nachfolgend kurz vor.

Möglichkeit 1: Shortlisting-Scorecard (eigenes Wertungssystem)

Eine Scorecard ist eine selbst entwickelte Wertungsliste, die die eingangs festgelegten Shortlist-Kriterien unterschiedlich stark gewichtet und mit Punkten bewertet. Sind alle Kriterien erfasst und bewertet, ergibt sich

eine rechnerische Gesamtpunktzahl für die einzelnen Bewerber und
ein punktzahlbasiertes Ranking innerhalb der Longlist,

welche dann als Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Aufnahme in die Shortlist genutzt werden können.

Bewertungsschema

Für alle, die sich unter einer Scorecard nichts vorstellen können: Es handelt sich um eine Tabelle, in der erfasst wird, inwieweit Bewerber die Shortlist-Kriterien (z. B. Ausbildung, Berufserfahrung, Schlüsselkompetenzen) erfüllen. Je höher die Übereinstimmung, desto mehr Punkte erhält der Kandidat.

Beispiel: Sie setzen zwei Jahre Berufserfahrung voraus. Dann könnten für die Erfüllung dieses Kriteriums 2 Punkte vergeben werden, während für mehr bzw. weniger als die gewünschten zwei Jahre je 1 Punkt addiert bzw. abgezogen werden könnte. Wer also 5 Jahre Berufserfahrung mitbringt, würde dann 3 Punkte erhalten.

Vor- und Nachteile

Vorteile:

  • sachliche, vorurteilsfreie Bewertung von Kandidaten
  • gleiche Chance für alle
  • universell einsetzbar

Richtig entwickelt lässt sich die Scorecard universell in jeden Shortlisting-Prozess miteinbeziehen und sorgt dann für einen schnelleren, vor allem aber sachlicheren Überblick, welche Kandidaten sich für die Shortlist qualifizieren.

Nachteile:

  • zeitaufwendig
  • Konzentration vorwiegend auf Hard Skills
  • Besser für rollenspezifische Suche geeignet

Die Entwicklung eines solchen Wertungssystems erfordert wertvolle Zeit und zeigt ausschließlich den Erfüllungsgrad bestimmter Kriterien auf. Da sich übertragbare Fähigkeiten (also das Potenzial) eines Kandidaten hieraus nicht ableiten lassen, eignet sie sich besser für die rollenspezifische Suche.

Möglichkeit 2: Auswertung per Bewerbermanagementsystem (CV-Parsing)

Ein weiterer praktischer Helfer sind Bewerbermanagementsysteme (engl.: Applicant Tracking System), die automatisiertes Screening ermöglichen und Ihnen die Arbeit zu großen Teilen abnehmen.

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Mithilfe des sogenannten CV-Parsing, dem maschinellen und semantischen Auslesen von Lebensläufen (CV) in unterschiedlichsten Dateiformaten (z. B. PDF, Word-Dateien, TXT-Dateien), werden Dokumente in ein einheitliches Format gebracht, sodass Recruiter schlussendlich viele gleich aufgebaute Bewerbungsdokumente zu Gesicht bekommen und diese schneller auswerten können. Manche der moderneren ATS arbeiten sogar mit künstlicher Intelligenz, die Recruitern die Arbeit komplett abnimmt und die Shortlist eigenständig erstellt.

Vor- und Nachteile

Auch ein ATS hat natürlich seine Vor- und Nachteile im Hinblick aufs Shortlisting. Diese stellen wir Ihnen an dieser Stelle kurz und knapp vor. Spoiler-Alarm: die Vorteile überwiegen!

Vorteile:

  • zentrale Verwaltung aller eingegangenen Bewerbungen
  • Automatisiertes, teilweise gar KI-basiertes Lebenslaufscreening
  • Übersichtliche Darstellung der CV-Daten
  • Shortlisting mithilfe von vielseitigen Keywords, Tags und Filtermöglichkeiten
  • Schnellere Entscheidung, wer es auf die Shortlist schafft

Nachteile:

  • Weniger übersichtlich als Scorecard
  • Auch KI treffen unter Umständen Fehlentscheidungen
Unser Tipp: Screening automatisieren, aber Shortlisting persönlich entscheiden

Es ist durchaus sinnvoll, sich zeitsparende und praktische Unterstützung durch ein modernes ATS zu holen. Verlässt man sich dabei auf eine KI, muss man sich aber über folgendes im Klaren sein: Je mehr Entscheidungsgewalt eine KI erhält, desto höher die Gefahr, dass z. B. starke Kandidaten mit geringerem Deckungsgrad (aber dafür großem Potenzial) fälschlicherweise aussortiert werden. Auch rechtlich kann der Einsatz der KI Stolpersteine bergen. Noch ist die KI auf diesem Gebiet nicht so weit, dass sie den menschlichen Sachverstand ersetzen könnte.

Wir empfehlen daher, der KI vorerst nicht zu viele Rechte einzuräumen und die Entscheidung, wer es auf die Shortlist schafft, lieber persönlich zu treffen.

4. Einladungen zum Interview versenden

Stehen die Kandidaten für Ihre Shortlist fest, ist es Zeit für die sogenannten Screening-Interviews per Telefon oder Videocall. Dabei wird den Kandidaten auch in Sachen Soft Skills, Werte und Überzeugungen, Umgangsformen, etc. (“Cultural Fit”) noch einmal näher auf den Zahn gefühlt, um die Shortlist weiter einzugrenzen und den Auswahlprozess voranzutreiben.

Verlieren Sie also keine Zeit und versenden Sie umgehend die Einladungen zum ersten Interview.

5. Absagen versenden

Jetzt müssen Sie nur noch Absagen an diejenigen senden, die Ihren festgelegten Shortlist-Kriterien nicht entsprechen. Wir empfehlen, die Absagen nicht vor der erfolgreichen Vereinbarung von Interview-Terminen mit Ihren Wunschkandidaten zu versenden. Steht einer der Shortlist-Kandidaten nämlich nicht mehr zur Verfügung, kann so gegebenenfalls noch ein anderer Kandidat auf die Shortlist nachrücken.

Trotzdem sollten die aussortierten Kandidaten stets zeitnah benachrichtigt werden, ob sie in die nächste Stufe vorrücken oder nicht. Das ist wichtig für ein positives Bewerbererlebnis und wirkt sich stark auf Ihr Arbeitgeberimage aus.

Übrigens: Auch beim Versand von Absagen kann JOIN Ihnen viel Arbeit abnehmen. Mit nur wenigen Klicks können Absagen gesammelt an Ihre abgelehnte Kandidaten versendet werden.

Fazit

Shortlisting ist eine komplexe Angelegenheit, die Chancengleichheit verlangt, leider aber noch immer stark von Subjektivität und Vorurteilen geprägt ist. Ein so unfairer Shortlistingprozess birgt jedoch allerhand rechtliche Stolperfallen, kann schnell Diskriminierungsklagen nach sich ziehen und mindert zudem die langfristigen Erfolgschancen eines Unternehmens. Ein fairer Shortlistingprozess ist daher nicht nur ein nice-to-have, sondern im wahrsten Sinne ein Must-have für jeden Recruiter.

Die gute Nachricht: Es gibt genug Mittel, zu denen Sie für ein sauberes, faires und unbedenkliches Shortlisting greifen (Scorecard, CV-Parsing, Assessments und vieles mehr) und so eine rein fachliche und qualifikationsbasierte Entscheidung sicherstellen können.

Sarah Heßler

Sarah Heßler

Sarah Heßler was a bilingual Content Manager at JOIN who loved to share knowledge with our visitors and enjoyed writing about HR and Recruitment topics from many different perspectives.

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